PFLEGEBEREICH – REPRÄSENTATIVE STUDIE

Natali Gfrerer (Soziologin) und Alexandra Gfrerer (Diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester) haben eine repräsentative Studie zur Arbeitssituation von Gesundheits- und Krankenpflegekräften während der Corono-Pandemie in Österreich erstellt. Ihre Ergebnisse sind noch alarmierender als gedacht!

Als Summe der Ergebnisse wird festgehalten: Das Personal ist heillos überlastet und fast die Hälfte der Pflegekräfte denkt daran, aus dem Job auszusteigen.

Es gaben fast 90 % von 2470 Befragten an, dass sich ihre Arbeitssituation durch die Corona-Pandemie stark verschlechtert hat. 85 Prozent leiden unter der erhöhten psychischen Belastung – an Stress, Ängsten und Schlaflosigkeit.

Gründe dafür: Das erhöhte Arbeitspensum, mehr organisatorischer Aufwand, das stundenlange Tragen der Schutzausrüstung, Personalmangel.

45 % denken regelmäßig an einen Jobausstieg, das sind in absoluten Zahlen mehr als 27.700 Pflegekräfte.

Auch das Ausmaß an Gewalt, mit dem Pflegekräfte konfrontiert sind, wurde erhoben. Das ist ein Thema, welches nicht unbedingt mit dem Beruf in Verbindung gebracht wird, weil Pflegekräfte den Großteil ihres Arbeitsalltages damit verbringen, anderen Menschen zu helfen. Die Zahlen sind erschreckend: Fast 60 % waren in ihrer Berufslaufbahn schon Beschimpfungen und Drohungen ausgesetzt, 17 % haben auch körperliche Gewalt erlebt – Tritte, Schläge, Bisse. In der Pandemie haben die Aggressionen noch weiter zugenommen.

Die prekäre Situation im Pflegebereich ist nichts Neues – seit Jahrzehnten wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass sich etwas verändern muss. Durch die Corona-Pandemie hat sich die Situation natürlich weiter verschärft. Bis 2030 – das haben seriöse Erhebungen ergeben – fehlen in Österreich (auch durch das erwartbare Anwachsen von älteren Pflegebedürftigen) mindestens 75.000 Menschen in der Pflege. Quelle: „Die Zeit“ vom 17. Juni 2021.

Die Politik ist also seit Jahren schon mit der Problematik konfrontiert – wirklich gehandelt wurde bislang nicht. Von meiner Wahrnehmung her ist das auch in nächster Zukunft nicht zu erwarten, es wird bei verschiedenen Alibihandlungen bleiben. Wahrscheinlich wird vor der Landtagswahl in Oberösterreich das Eine oder Andere von politischer Seite zu hören sein – um Wählerstimmen zu bekommen, verändern wird sich nach erfolgter Wahl dann kaum etwas! Man ist politisch letztlich nicht dazu bereit!

Wir kommen in die Jahre, aber es gibt keine neuen Zugänge zu gesellschaftspolitischen Entwicklungen. So war ich am 8. November 2008  vom Verein zur Förderung der Freiwilligen Sozialen Dienste  in Linz zur festlichen Feier des 40jährigen Bestehens dieser Organisation eingeladen. Als Gastredner hielt der Literat und Autor zahlreicher Theaterstücke und auch als Supervisor tätige Thomas Baum eine brillante Festansprache. Leider zu einem Zeitpunkt, als die offizielle Begrüßung und die Lobreden der Politiker (Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer, Soziallandesrat Josef Ackerl und Sozialminister Dr. Erwin Buchinger) schon beendet waren und diese der Feierlichkeit (bewusst) nicht mehr beiwohnten!

Thomas Baum beschrieb damals ungeschminkt, dass die Politik ganz bewusst Missstände im Sozialbereich – nach lediglich finanziellen Vorgaben – einplant und damit äußerst verantwortungslos bis grob fahrlässig mit den dort tätigen DienstnehmerInnen und ihren PatientInnen, KlientInnen etc. umgeht! Da wurden offene und mutige Worte in einer Klarheit formuliert, die ganz selten zu finden ist! 

Die von Thomas Baum 2008 beschriebene Situation hat sich seit damals vielfach bestätigt und entsprechend weiter verschärft.

Dazu eine Überlegung von mir: Der Sozialbereich ist in der heutigen Leistungsgesellschaft weitestgehend isoliert: Dort werden keine Wirtschaftsleistungen erbracht, oft wird dargestellt, dass dieser Bereich nur etwas kostet, also die Erträge (wesentlich) der Wirtschaft damit vermindert.

Der oder die „Nichtleister“ sind damit für die Leistungsgesellschaft wertlos. Im Sinne von Übertragung wird diese „Wertlosigkeit“ auch jenen Menschen attributiert, die sich um das Wohl von Pflege- und Hilfsbedürftigen kümmern. Und es ist für die handelnden Politiker in der neoliberalen Gesellschaft, die sich nicht mit den Schattenseiten des Lebens wie Leid, Not, Schmerz oder Tod beschäftigen will oder kann, nicht populär, sich um diesen Bereich wirklich ernsthaft zu kümmern!

Dass die Wirtschaft völlig zum Stillstand kommen würde, würde einen einzigen Tag lang jede/r MitarbeiterIn im Sozialbereich seine oder ihre Tätigkeit nicht ausüben, würden auch noch zusätzlich die KindergärtnerInnen und LehrerInnen aussetzen, wären die Leistungserbringer an diesem Tag wohl damit beschäftigt, sich um ihre kranken, pflegebedürftigen Angehörigen oder zumindest um ihre Kinder zu kümmern.

Primär geht es heute auch im Sozialbereich darum „was der Markt verlangt“ – und erst danach, was die Sozialeinrichtungen und die Beschäftigten tatsächlich leisten können. D. h. es wird nicht überprüft, wie viel Personalkapazitäten wird benötigt, um eine gewisse Leistung zu erbringen sondern den vorhanden MitarbeiterInnen wird einfach Ihr Ziel vorgegeben. Somit treten Leistungserwartung und Leistungsfähigkeit systematisch auseinander, prinzipiell „maßlose“ (Markt)anforderungen treffen auf natürlich begrenzte Ressourcen, Arbeit und Gesundheit geraten in Konflikt.

Es geht hier um eine grundsätzliche Lebens- und Wertehaltung, und um eine „neue Kultur der Arbeit“ und diese ist bei diesen Anbietern sicherlich nicht zu finden! „Wo Geld zum Ziel wird, gewinnt es die Kraft, alle anderen Werte als Mittel für sich herabzudrücken“, so der Begründer der deutschen Soziologie, Georg Simmel, in seinem Traktat „Philosophie des Geldes“. Wo Geld zum absoluten Gut wird, kommt es zu „pathologischen Ausartungen“ – und das hat Simmel schon 1900 festgestellt!

Christian Aichmayr

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